Digitale Bohème oder Omma, ich arbeite!
Wer sich als abhängig Beschäftigter ein bisschen beschimpfen lassen möchte, der lese "Wir nennen es Arbeit".
Das Buch ist fraglos spannend zu lesen, ansonsten hätte ich ihm nicht meinen Samstag Nachmittag gewidmet um es von A bis Z durchzulesen.
Wer positive Kritiken lesen möchte, den verweise ich auf die entsprechende Website, ich werde mich im folgenden meiner hochgezogenen Augenbraue widmen:
Der Klappentext verspricht, dass es sich bei der digitalen Bohème um eine zukunftsgewandte Daseinsform handele, die als Verteterin eines zeitgemäßen Lebensstils sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt.
Spannend, dachte ich, betrifft zwar sicher nicht mich, aber vielleicht einige liebe Menschen in meinem Bekanntenkreis.
Trotz des Versprechens im Vorwort, dass es sich nicht nur an Berliner so um die dreißig wendet, habe ich den Eindruck gewonnen, dass es wahrscheinlich eine noch kleinere Zielgruppe im Visir hat: Das, was ich so bisher zwischen "Aussteiger" und "Künschtler" eingeordnet hätte und die unter einer Festanstellung so leiden, dass sie sich professionelle Hilfe holen sollten.
Auf den ersten 100 Seiten hätte ich das Buch mehrfach in die Ecke geworfen, wenn es denn mein eigenes gewesen wäre. Ich habe nicht sehr viel Ahnung von dem, was da so geschrieben wird, aber in Bezug auf Sozialversicherung und Geocachen kenne ich mich wirklich aus und diese beiden Punkte werden nicht nur verzerrt sondern schlichtweg falsch dargestellt:
Den Autoren ist es unverständlich, weshalb nur als arbeitslos gilt und deshalb Arbeitslosengeld, Überbrückungsgeld usw. ausschließlich an Menschen gezahlt werden, die vorher abhängig beschäftigt gearbeitet haben.
Hint: weil Arbeitslosengeld und Überbrückungsgeld Versicherungsleistungen sind, die nur erhält, wer vorher in die (Arbeitslosen-)Versicherung eingezahlt hat.
Auch behaupten die Autoren, das Degree Confluence Project sei aus der Geocaching-Bewegung entsanden. Dumm nur, dass das Degree Confluence Project schon 1996 aus der Taufe gehoben wurde und das Geocaching erst 2000.
Ich gebe zu, das sind Haarspaltereien, aber sie schaffen bei mir nicht wirklich Vertrauen in die sonst aufgestellten Thesen sondern verstärken den Eindruck, dass lediglich polarisiert werden soll.
Kommen wir zu den Passagen, die ich nicht verstanden habe:
Einerseits wird das Feierabendbier mit den Kollegen verteufelt, da es die Folge dessen ist, dass man den Freundeskreis außerhalb der (abhängigen) Arbeit verloren hat, ca. 100 Seiten weiter wird der "third place" gelobt, ein Platz - zumeist in Kneipen - zwischen Arbeitsplatz und heimischem Wohnzimmer, an dem Kollegen (!) zwanglos getroffen werden können. Wo genau ist da jetzt der Unterschied?
Kritisiert wird an der abhängigen Beschäftigung, dass man sich Pakete an den Arbeitsplatz statt nach Hause liefern lässt, weil man sich da tagsüber eher aufhält. Jetzt weiß ich nur noch nicht so genau, wohin ich meine Pakete liefern lassen soll, wenn ich als digitale Bohémienne meine Freiheit nutze und nächsten Dienstag noch nicht weiß wo ich sein werde. Sagen wir mal, es gibt schlagendere Argumente gegen eine Festanstellung.
Sehr enttäuscht hat mich das letzte Kapitel, von dem ich erwartet hatte, dass erläutert werde, wie sich die propagierte Lebensweise gesellschaftlich positionieren kann. Von Grundeinkommen war die Rede. Und dem Problem, Kinder und Pflegebedürftige zu versorgen, da Kindergärten sich ja nach dem sklavischen Angestelltenrhythmus richten (in Berlin vielleicht. Berufstätige hier unten wären glücklich, würde sich die Kinderbetreuung nach den Angestellten richten und nicht nach den Hausmännern und -frauen). Da muss dann der Staat mit 24/7-Betreuung ran.
Schade, mit Vollkaskowünschen nach den Aufbruchsfanfaren hätte ich nicht gerechnet.
Das Buch ist fraglos spannend zu lesen, ansonsten hätte ich ihm nicht meinen Samstag Nachmittag gewidmet um es von A bis Z durchzulesen.
Wer positive Kritiken lesen möchte, den verweise ich auf die entsprechende Website, ich werde mich im folgenden meiner hochgezogenen Augenbraue widmen:
Der Klappentext verspricht, dass es sich bei der digitalen Bohème um eine zukunftsgewandte Daseinsform handele, die als Verteterin eines zeitgemäßen Lebensstils sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt.
Spannend, dachte ich, betrifft zwar sicher nicht mich, aber vielleicht einige liebe Menschen in meinem Bekanntenkreis.
Trotz des Versprechens im Vorwort, dass es sich nicht nur an Berliner so um die dreißig wendet, habe ich den Eindruck gewonnen, dass es wahrscheinlich eine noch kleinere Zielgruppe im Visir hat: Das, was ich so bisher zwischen "Aussteiger" und "Künschtler" eingeordnet hätte und die unter einer Festanstellung so leiden, dass sie sich professionelle Hilfe holen sollten.
Auf den ersten 100 Seiten hätte ich das Buch mehrfach in die Ecke geworfen, wenn es denn mein eigenes gewesen wäre. Ich habe nicht sehr viel Ahnung von dem, was da so geschrieben wird, aber in Bezug auf Sozialversicherung und Geocachen kenne ich mich wirklich aus und diese beiden Punkte werden nicht nur verzerrt sondern schlichtweg falsch dargestellt:
Den Autoren ist es unverständlich, weshalb nur als arbeitslos gilt und deshalb Arbeitslosengeld, Überbrückungsgeld usw. ausschließlich an Menschen gezahlt werden, die vorher abhängig beschäftigt gearbeitet haben.
Hint: weil Arbeitslosengeld und Überbrückungsgeld Versicherungsleistungen sind, die nur erhält, wer vorher in die (Arbeitslosen-)Versicherung eingezahlt hat.
Auch behaupten die Autoren, das Degree Confluence Project sei aus der Geocaching-Bewegung entsanden. Dumm nur, dass das Degree Confluence Project schon 1996 aus der Taufe gehoben wurde und das Geocaching erst 2000.
Ich gebe zu, das sind Haarspaltereien, aber sie schaffen bei mir nicht wirklich Vertrauen in die sonst aufgestellten Thesen sondern verstärken den Eindruck, dass lediglich polarisiert werden soll.
Kommen wir zu den Passagen, die ich nicht verstanden habe:
Einerseits wird das Feierabendbier mit den Kollegen verteufelt, da es die Folge dessen ist, dass man den Freundeskreis außerhalb der (abhängigen) Arbeit verloren hat, ca. 100 Seiten weiter wird der "third place" gelobt, ein Platz - zumeist in Kneipen - zwischen Arbeitsplatz und heimischem Wohnzimmer, an dem Kollegen (!) zwanglos getroffen werden können. Wo genau ist da jetzt der Unterschied?
Kritisiert wird an der abhängigen Beschäftigung, dass man sich Pakete an den Arbeitsplatz statt nach Hause liefern lässt, weil man sich da tagsüber eher aufhält. Jetzt weiß ich nur noch nicht so genau, wohin ich meine Pakete liefern lassen soll, wenn ich als digitale Bohémienne meine Freiheit nutze und nächsten Dienstag noch nicht weiß wo ich sein werde. Sagen wir mal, es gibt schlagendere Argumente gegen eine Festanstellung.
Sehr enttäuscht hat mich das letzte Kapitel, von dem ich erwartet hatte, dass erläutert werde, wie sich die propagierte Lebensweise gesellschaftlich positionieren kann. Von Grundeinkommen war die Rede. Und dem Problem, Kinder und Pflegebedürftige zu versorgen, da Kindergärten sich ja nach dem sklavischen Angestelltenrhythmus richten (in Berlin vielleicht. Berufstätige hier unten wären glücklich, würde sich die Kinderbetreuung nach den Angestellten richten und nicht nach den Hausmännern und -frauen). Da muss dann der Staat mit 24/7-Betreuung ran.
Schade, mit Vollkaskowünschen nach den Aufbruchsfanfaren hätte ich nicht gerechnet.
N. - 22. Okt, 18:49